Spurensuche

Online Symposium 2021

18. September 2021

„Bin ich gut zu verstehen? Können alle meinen Bildschirm sehen?“
Immer wieder waren diese Sätze zu hören, als am 18. September 2021 eine -corona-bedingt modifizierte- Online Fachveranstaltung des DAGTP e.V. stattfand.

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Als erster Vortragender ging Herr Prof. Dr. phil. Günter Reich (u.a. Diplompsychologe, Psychoanalytiker, Paar- und Familientherapeut; zahlreiche Publikationen u.a. zur Mehrgenerationen- Familien- und Paartherapie) von verschiedenen Überlegungen und Theorien zum Verständnis des Familienbegriffs aus und fokussierte auf das Familiengefühl. Er führte in Anlehnung daran den Einfluss transgenerativer Unterströmungen aus. Als solche machte Herr Prof. Dr. Reich u.a. das kollektive Familiengedächtnis (M. Halbwachs und A. Assmann), Tiefenerzählungen (A.R. Hochschild „Tiefengeschichten"), unsichtbare Loyalitäten (I. Boszormenyi-Nagy) und das sogenannte epistemische Vertrauen (P. Fonagy) aus. Neben diesen wirken auch neuere Entwicklungen (u.a. die Verkleinerung der Familienbeziehungen, durch Samenspende gezeugte Kinder, Leihmütter) auf das Familiengefühl. Entscheidend vor diesem Hintergrund bleibt, inwieweit es Menschen immer wieder gelingt, die eigene Familiengeschichte zu verstehen und zu akzeptieren.

Am Bild der „Schreimutter" (in Anlehnung an das gleichnamige Bilderbuch von Jutta Bauer) als Metapher für frühe Entwicklung und Störungen erörterte Dr. rer. soc. Begga Hölz-Lindau (Diplomkunsttherapeutin, u.a. seit 2006 Kunsttherapeutin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen/Stuttgart, diverse Publikationen) als zweite Vortragende, wie sich frühe traumatisierende Familienerfahrungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken. Traumatische Erlebnisse führen zu innerseelischen Fragmentierungen, die je nach Intensität und Wiederholungshäufigkeit betroffene Personen dauerhaft und bleibend in ihrer Entwicklung beeinflussen. Das zeigt sich in der kunsttherapeutischen Arbeit in spezifisch diagnostizierbaren Phänomenen im Körperausdruck, in der bildhaften Gestaltung und in den Narrativen. Mit einer von Frau Dr. Hölz-Lindau vorgestellten Analyse einer kunsttherapeutischen Kurzzeittherapie aus ihrem klinischen Setting verwies sie auf zentrale Interventionsakzente und die besondere Chance, Kindern und Jugendlichen über dieserart kunsttherapeutische Arbeit auf der entwicklungspsychologisch vorsprachlichen Ebene Halt zu geben.

In der Auseinandersetzung mit traditionellem und heutigem Bilderleben stellen sich neue Fragen zum grundsätzlichen Verhältnis von äußerer und innerer Wirklichkeit und ihrer bildlichen Verbindung. Diesen ging Frau Stefanie Nahler (Diplomkunsttherapeutin, Analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis, Dozentin am C.G. Jung-Institut Stuttgart), als dritte Vortragende mit ihrer Präsentation von sowohl bildtheoretischen Überlegungen, als auch Fallbeispielen aus der eigenen Praxisarbeit nach.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen zum Bild als archetypischen Mittler setzte sich Frau Nahler besonders mit den heutigen High-Tech-Bildern, ihrer Präsentation und den Phänomenen der Bilderflut und des Bildkonsums auseinander: Wie beeinflussen diese die Wahrnehmung und den Selbstausdruck von Kindern und Jugendlichen? Wie wirken sich beispielsweisedie Bilder im virtuellen Raum aus, wenn dadurch die symbolisierende Distanz im Inneren der Bilder abhandenkommt und wenn die haptische Erfahrung fehlt? Die Kunsttherapie, so ein Fazit, zu deren Kernauftrag eine reflektierte Arbeit mit Bildern gehört, muss sich einer theoriebasierten Einschätzung dieser neuen Bildphänomene stellen und ihnen auch einen Platz in den gestalterischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen einräumen.

Auch wenn in den kurzen Nachklangphasen zwischen den Vorträgen nicht alle Teilnehmer:innen akustisch zu Wort kamen, die Chatfunktion des Online-Formats machte ganz eigene Rückmeldungen möglich: Bestätigungen des Gehörten, weiterführende Fragestellungen, interessante Querverweise.

(19. September 2021, Bettina Albrecht, Vorstand des DAGTP e.V.)

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